Die Präzession der Erdachse oder warum der Himmelsnordpol wandert


Von klein auf bekommt man gesagt: „Der sehr helle Stern über dem nördlichen Horizont (Nordstern) symbolisiert den Himmelsnordpol.“ Jeder Astrofotograf weiß, der tatsächliche Himmelsnordpol liegt circa 0.7° bzw. 42 Bogenminuten vom wahren Himmelsnordpol entfernt. Und jeder Astrophysiker weiß: Der Himmelsnordpol wandert mit der Zeit. Das wissen Sie jetzt auch! Aber warum ist das so? Mit Hilfe der Kurzübersicht können Sie zu den jeweiligen Unterpunkten springen.

  1. Die Präzession
  2. Die Präzession der Erdachse
  3. Auswirkungen

Die Präzession


Jeder rotierende Körper hat eine eigene Rotations-achse um die er sich dreht. Wirkt nun eine Kraft senkrecht auf diese Rotationachse, so ändert sich aufgrund des erzeugten Drehmoments die Richtung seiner Rotationsachse.
Zugegeben, das klingt nicht wirklich intuitiv und das obwohl jeder schon einmal dem Effekt der Präzession begegnet ist (Kreisel). Im Internet finden sich viele Erklärungen mit Vektoren und Kreuzprodukten. Wir möchten versuchen Ihnen eine etwas intuitivere Erklärung zu bieten.

Stellen sie sich einen Satelliten vor, der sich in einer Umlaufbahn um die Erde befindet. Sie üben nun eine Kraft auf den Satelliten senkrecht zu seiner Bewegungsrichtung aus und zwar jedes Mal, wenn er an Ihnen vorbeikommt und genau die gleiche Kraft in entgegengesetzter Richtung, wenn er an dem Punkt gegenüber von Ihnen vorbeifliegt (Abbildung 2).

Satellit kreist um die Erde

 
Ohne Zweifel wird sich die Bahn des Satelliten verändern. Nur wie?
Der Satellit wird nicht auf einmal nach oben „teleportiert“, sodass sich die Bahnkurve wie in Abbildung 2 dargestellt verändert.

Satellit kreist um die Erde


Da Sie durch Ihre Krafteinwirkung die Richtung des Geschwindigkeitsvektors ändern, wird sich die Bahn zu einer, wie der in Abbildung 3 verändern.
 

Satellit kreist um die Erde

 
Das bedeutet die Kraft macht sich erst 90° später bemerkbar. Verinnerlichen Sie diesen Effekt, denn er ist sehr wichtig für den nächsten Schritt.
Schauen wir uns nun das Präzessionsexperiment an, dass jeder aus der Schule kennt. Ein Reifen ist an einer Seite an einer Schnur aufgehängt (siehe Abbildung unten).

Reifen Präzession


Dieser Reifen wird nun sehr stark in Rotation versetzt. Lässt man ihn anschließend los, rotiert er zusätzlich um die Schnur/Aufhängung. Würde man den Reifen jedoch nicht andrehen würde er wie oben dargestellt einfach nach unten kippen. Der Grund dafür ist die Präzession, dennoch klingt das nicht wirklich intuitiv. Stellen wir uns den Reifen nun als Rad mit Kugeln an den Enden vor. Die Gravitation zieht nach wie vor an dem Reifen, was zu einem Drehmoment führt (Grüner Kreispfeil). Dieses Drehmoment kann zu zwei Kräften vereinfacht werden (Rote Pfeile).

Reifen Präzession


Jetzt drehen wir das ganze Bild um 90°.

Reifen Präzession


Erinnern Sie sich noch an den Satelliten, der die Erde umkreist? Denken wir uns nun die blauen Kugeln als Satelliten ist es wesentlich einleuchtender, warum sich das Rad um die Aufhängung dreht und nicht nach unten kippt. Die Kraft wirkt auch hier um 90° versetzt. Was hat das Ganze mit der Erde und dem Himmelsnordpol zu tun hat, erfahren Sie im nächsten Abschnitt!
 

Die Präzession der Erde

Genauso wie der Reifen dreht sich auch die Erde um ihre Rotationsachse. Dabei ist sie um 23,5° gegenüber der Ekliptik, also der Ebene ihrer Umlaufbahn um die Erde, geneigt. Durch die Rotation ist die Erde keine perfekte Kugel, sondern ein sogenannter Ellippsoid („3-dimensionale Ellipse“). Der Mond, der sich ebenfalls in dieser Ekkliptikebene befindet, wirkt gravitativ auf diese „Ausbuchtungen“ der Erde. Man könnte auch sagen, der Mond möchte die Erde bzw. ihre Achse „aufrichten“ (pinke Pfeile in Zeichnung).

Präzession der Erde

 

https://www.astronomie.de/einstieg-in-die-astronomie/unsere-erde/die-praezession/



Da diese aufrichtende Kraft um 90° versetzt wirkt (Präzession) umkreist der Himmelsnordpol den Ekliptiknordpol, genauso wie der Reifen seine Aufhängung umkreist. Beim Reifen entsprach der Winkel zwischen Rotationsachse und Präzessionsachse 90° wohingegen der Winkel bei der Erde den geläufigen 23,5° (Im oberen Bild ist das der Winkel phi) entspricht. Die Dauer für eine volle Präzessionsbewegung der Erde liegt bei ganzen 25800 Jahren!  Das bedeutet, dass der Himmelsnordpol pro Jahr um 360°/25800 = 50‘‘ wandert!

Auswirkungen


Was für Auswirkungen hat nun diese Präzessionsbewegung? Einerseits verändert sich damit, der sogenannte Frühlingspunkt. Das ist der Punkt, an dem sich die Ekliptikebene und die Rotationsebene der Erde schneiden. Wem das zu unspektakulär klingt, kann sich auch einfach merken: Die Jahreszeiten verschieben sich! Das heißt in 12900 Jahren ist im Winter Sommer und im Sommer Winter!

Wie im Titel bereits erwähnt ist eine weitere Folge, dass der Himmelsnordpol wandert, was nach der Erklärung oben hoffentlich offensichtlich ist. Das bedeutet unter anderem auch, dass der Polarstern NICHT immer den Himmelsnordpol anzeigt. Er ist letztendlich einfach nur ein Stern, der zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war und zugleich hell genug war!

Für Besitzer einer Montierung mit Polsucher:

Falls sie sich jemals gefragt haben warum die Ringe zum Einnorden eine Jahresskala haben (2016, 2020, 2024). Die Präzession liefert die Antwort. Da die Montierung bezüglich des „Nord“-Sterns ausgerichtet wird muss man die Veränderung seiner Position bezüglich des Himmelsnordpols berücksichtigen!